Der Mythos vom frühen Start

Viele Eltern und Musiklehrer kennen den Satz: „Wenn Dein Kind nicht schon mit fünf ein Instrument lernt, ist es zu spät.“ Seit Jahrzehnten hält sich die Idee, dass ein sehr früher Start der Schlüssel zu außergewöhnlichen musikalischen Fähigkeiten sei. Besonders in der Diskussion um den sogenannten „Mozart-Effekt“ wurde diese Ansicht immer wieder bemüht. Doch aktuelle Forschung zeigt: Ganz so einfach ist es nicht, denn frühes Musizieren ist nicht der Schlüssel für den musikalischen Erfolg.

Eine große Studie bringt Klarheit

Ein Forscherteam um Laura W. Wesseldijk, Miriam A. Mosing und Fredrik Ullén hat untersucht, wie wichtig das Einstiegsalter bzw. frühes Musizieren wirklich ist. Dafür nahmen sie gleich zwei große Gruppen unter die Lupe:

  • 310 professionelle Musiker in Schweden
  • 7.786 erwachsene Zwillinge, die Angaben zu ihrer musikalischen Ausbildung machten

 

Die Wissenschaftler wollten wissen: Macht es tatsächlich einen Unterschied, ob man mit sechs oder mit zehn Jahren ein Instrument beginnt? Also ist frühes Musizieren ein Erfolgsfaktor? Oder erklären andere Faktoren, warum viele erfolgreiche Musiker sehr früh angefangen haben?

So wurde gemessen

Um die Ergebnisse greifbar zu machen, haben die Forschenden zwei Bereiche unterschieden:

  • Musikalische Begabung (Aptitude): die Fähigkeit, Tonhöhen, Melodien und Rhythmen zu unterscheiden
  • Musikalische Leistung (Achievement): konkrete Erfolge wie Konzerte, Kompositionen, Aufnahmen, Wettbewerbe

 

Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick

1. Früher Start = mehr Übezeit

Wer mit fünf Jahren beginnt, sammelt bis zum 20. Geburtstag mehr Stunden auf dem Instrument als jemand, der erst mit zehn startet. Dieser Vorsprung erklärt vieles. Ein „Wunderkind-Effekt“ steckt dahinter jedoch nicht unbedingt. Frühes Musizieren sorgt also nicht für ein „Wunderkind“.

2. Leistungen hängen von der Übezeit ab

Entscheidend ist nicht das Alter beim Einstieg, sondern die gesamte Übedauer. Wenn die Forscher die Gesamtzahl der Übestunden berücksichtigten, verschwand der Vorteil des frühen Musizieren bei den musikalischen Leistungen fast vollständig. Mit anderen Worten: Nicht das Alter macht die Meisterschaft, sondern das konsequente und bewusste Üben.

3. Begabung hängt mit Genetik und Umfeld zusammen

Bei der musikalischen Begabung zeigten sich zunächst kleine Vorteile für frühes Musizieren. Doch in den Zwillingsanalysen wurde klar: Der Zusammenhang wird durch genetische und familiäre Faktoren erklärt.

  • Manche Kinder bringen eine besondere Musikalität von Geburt an mit.
  • Diese Kinder haben oft Eltern, die selbst musizieren oder ein musikalisches Umfeld bieten.
  • Dadurch beginnen sie früher – nicht, weil es eine „kritische Altersgrenze“ gibt, sondern weil Talent und Umfeld zusammenspielen.

 

Was bedeutet das für Amateurmusiker?

  • Es ist nie zu spät: Auch wer später ein Instrument lernt, kann hohe Leistungen erreichen – entscheidend sind Motivation und Freude.
  • Üben ist der Schlüssel: Dein Fortschritt hängt vor allem davon ab, wie regelmäßig und bewusst Du spielst, nicht davon, ob Du mit fünf oder zehn Jahren begonnen hast.
  • Ein gutes Umfeld zählt: Unterstützende Lehrer, Familie oder ein motivierendes Orchester können den Unterschied machen.
  • Befreiung vom Druck: Eltern müssen ihre Kinder nicht unter Zwang ins Klavierzimmer schicken. Wichtiger ist, dass Musizieren Spaß macht und in den Alltag passt.

 

Musik ist kein Wettlauf

Die Ergebnisse dieser Studie sind eine Befreiung für alle Amateurmusiker: Ein später Start bedeutet nicht automatisch geringere Chancen. Musik lebt von Begeisterung, Ausdauer und Gemeinschaft – und nicht von einer starren Altersgrenze oder frühem Musizieren.

Besonders für Erwachsene ist das eine ermutigende Botschaft: Auch wer erst mit 30, 40 oder später ein Instrument in die Hand nimmt, kann einen reichen und erfüllenden musikalischen Weg gehen. Zahlreiche Amateurorchester und Chöre beweisen täglich, dass Leidenschaft und Engagement wichtiger sind als das frühe Musizieren.

Fazit: Talent, Umfeld und Freude zählen mehr als das Einstiegsalter bzw. frühes Musizieren

Die Studie zeigt: Ein früher Beginn schadet nicht – aber er ist nicht der magische Schlüssel zum Erfolg. Musikalische Exzellenz entsteht aus einer Mischung von Talent, familiärer Unterstützung, Motivation und Übezeit. Musik darf und soll Freude machen – unabhängig davon, ob Du mit acht, 18 oder 48 Jahren beginnst. Dein musikalischer Weg kann einzigartig und bereichernd sein, ganz egal wann Du startest.

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Quelle der Studie

Wesseldijk, L. W., Mosing, M. A., & Ullén, F. (2020). Why Is an Early Start of Training Related to Musical Skills in Adulthood? A Genetically Informative Study. Psychological Science, 31(10), 1103–1115.
https://doi.org/10.1177/0956797620959014